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Baumpflege

Geschützte Flechtenarten an gefällten Eichen

Besonders geschützte Flechtenarten an gefällten Eichen (Landkreis Leer, Januar 2021)

Bei Baumpflegearbeiten oder Gehölzfällungen sind im Nordwesten Deutschlands in der Regel auch Flechten in oft erheblichem Umfang betroffen. In etlichen Fällen dürfte es sich dabei auch um besonders geschützte Arten handeln.

Neben einer unüberschaubaren Anzahl von Bäumen auf privaten Grundstücken sind vor allem Gehölze an Gemeinde-, Kreis-, Landes- und Bundesstraßen zu nennen, die im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht alljährlich begutachtet, zurückgeschnitten oder gar gefällt werden. Auch wenn Artenschutzbelange im Hinblick auf Vogelbruten oder Fledermausquartiere zunehmend Eingang in die tägliche Berufspraxis finden, werden epiphytische Flechten nur in Einzelfällen beachtet. Dies ist wenig verwunderlich, da die Bestimmungen des Bundesnaturschutzgesetzes in den für dessen Umsetzung zuständigen Kommunen in dieser Hinsicht offenbar keine besondere Rolle spielen.

Eine im April 2022 durchgeführte Suche auf den Webseiten von 18 Unteren Naturschutzbehörden im Nordwesten nach den Themen "Flechten", "Artenschutz" und "Baumpflege" ergab nur einen einzigen Treffer: Der Landkreis Rothenburg (Wümme) erläutert zum Komplex "Baumschutz/Baumfällung", dass "fast alle Flechten, die in die Breite oder Länge wachsen, wie Bart-, Wimpern-, Blatt- oder Rentierflechten … besonders geschützt … sind. Im Zweifelsfall sollte die notwendige Überprüfung hinsichtlich der evtl. vorhandenen Lebensstättenfunktion eines Baumes von entsprechenden Fachleuten durchgeführt werden". Derartige Aussagen wünschen wir uns auch auf den Seiten der übrigen Landkreise!

Aber leider ist auch ein flechtenzentrierter Blick in die Fachliteratur zu Baumschutz und -pflege recht ernüchternd. Wirklich überraschend ist jedoch, dass selbst Titel mit einem erklärten Schwerpunkt zu Fragen des Artenschutzes das Thema des Flechtenartenschutzes nicht ausleuchten.

An dem Werk "Artenschutz und Baumpflege" (DIETZ et al. 2019) scheint in der Web-Öffentlichkeit kein Weg vorbei zu führen. Es wird in einem von der damaligen Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz verfassten Vorwort "allen, die sich praktisch mit Baumpflege befassen … ausdrücklich empfohlen": "… für den Schutz von Arten und als Lebensraum sind Bäume in der Stadt wichtig … Der verantwortliche Umfang damit ist nicht nur gesetzlich vorgegeben. Er ist auch für alle mit der Baumpflege beauftragten Fachleute ein ernsthafter Anspruch." Leider konzentriert sich dieser Anspruch bei der Beschreibung baumbewohnender Arten über knapp 40 Buchseiten auf Fledermäuse, Insekten, Spinnen, Vögel und weitere Säugetiere. Im Anschluss werden auf 3 Seiten auch "Moose, Flechten, Pilze und Schleimpilze" erwähnt. Ein interessierter Leser erfährt dort, dass Bäume bzw. Baumstubben Lebensstätten "einer Reihe von Flechten (Lichenes) als dauerhafte Symbiose von Pilz und Alge" sind (S. 101), nicht jedoch, dass diese auch dem besonderen Artenschutz unterliegen und damit das Ordnungsrecht berühren können. Auch an anderer Stelle sucht man eine Übersicht besonders bzw. streng geschützter Arten, die an Bäumen vorkommen können, vergebens. In dem immerhin 151 Seiten umfassenden Buch findet sich kein weiteres Wort zu besonders geschützten Flechtenarten oder zumindest zu leicht erkennbaren Arten, die alle mit der Baumpflege befassten Menschen erkennen können sollten.

Der im Jahr 2021 erschienene "Fachbericht Artenschutz" der angesehenen FLL (Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V.) ist ebenfalls keine große Hilfe. Auf S. 31 wird lapidar vermerkt: "Auch unter den Moosen … und Flechten gibt es besonders und streng geschützte Arten. In der täglichen Arbeit der Baumkontrolle, Baumuntersuchung und Baumpflege spielen sie jedoch eine eher untergeordnete Rolle." Ein Hinweis auf mögliche Gründe wäre an dieser Stelle vielleicht erhellend gewesen. Eine rechtlich fragwürdige Praxis in einem neuen Regelwerk zu legitimieren und damit quasi zum Standard zu erheben, hilft aber weder Leserin noch Leser dieses Fachberichts bei möglichen Rechtsfolgen. Weiter wird mitgeteilt: "Vorzugsweise wachsen diese auf der sonnenabgewandten, feuchteren Stammseite bzw. auf der Astoberseite" und abschließend: "Beim Klettern ist darauf zu achten, dass diese Bereiche geschont werden". Im Kapitel "Baumfremder Bewuchs" findet sich der in einem Werk zum Thema Artenschutz eher verstörende Hinweis: "Flechten und Moose sind für Bäume unschädlich und sollten so weit wie möglich erhalten werden" (S. 52). Es wundert dann nicht, dass in der abschließend zusammengestellten Checkliste zur Vorbereitung und Planung von Baumkontrollen und Pflegemaßnahmen (S. 53 f.) nur Tiere Erwähnung finden und besonders geschützte Pflanzenarten scheinbar keine Rolle spielen.

Offenbar in Kenntnis der bestehenden Informations- und Vollzugslücken ist kürzlich ein neuer Titel (LEMBCKE 2021) vorgelegt worden, der einen umfassenderen Einstieg in die Thematik verspricht. Wer die nicht unerhebliche Preishürde (38 für ein schmales Bändchen von 81 Seiten) genommen hat, wird mit einer knappen, jedoch profunden Darstellung gespeist aus langjähriger praktischer Erfahrung belohnt. Im Kapitel "Flechten" findet sich eine verständliche und bebilderte Beschreibung von Krustenflechten ("Bei dieser Gruppe gibt es keine besonders geschützten Arten an Bäumen."), Blattflechten ("In dieser Gruppe gibt es schon einen erheblichen Anteil besonders geschützter Arten") und Strauchflechten ("Weil fast alle Strauchflechten besonders geschützt sind, sollte bei strauchartig wachsenden Flechten davon ausgegangen werden, dass die Beseitigung dieser Flechten verboten ist und eine Genehmigung von der Naturschutzbehörde einzuholen ist"). Mehr muss der praktizierende Baumpfleger über Flechten im Grunde nicht wissen, um seinen Beruf rechtskonform auszuführen, aber der Verfasser fügt hinzu: "Für diese Flechten gelten im Wesentlichen die gleichen Verbote wie für Fledermäuse. Es gibt in der Baumpflege nur den Unterschied, dass der Schutzstatus für Fledermäuse und Vögel in der Baumpflege bekannt ist, der für Strauchflechten nicht." Leider reichen diese Defizite wohl auch weit über den Kreis der Baumpflegebranche hinaus (S. 75): "Auch wenn 'Artenschutzgutachter' den Baum vor der Durchführung von Pflege- oder Fällarbeiten untersuchen, schaut fast keiner nach besonders geschützten Flechten. Dabei gibt es gute Bestimmungsbücher und viele Arten sind damit relativ leicht kennenzulernen." Bei der umfassenden Darstellung der Rechtsfolgen von Artenschutzverstößen kann der Autor offensichtlich auf eine Vielzahl erlebter Fallbeispiele zurückgreifen. Nicht nur die Unterschiede zwischen Leichtfertigkeit, Fahrlässigkeit, Vorsatz und bedingtem Vorsatz (die z.B. für die Bemessung eines Ordnungsgeldes wesentlich sein können), sondern auch die wesentliche Frage, welche Maßstäbe an die gebotene Sorgfalt im Umgang mit besonders geschützten Arten anzulegen sind, werden ausführlich und anschaulich diskutiert. Er unterstreicht unter Verweis auf die Bundesgesetzgebung, dass nicht etwa "langjährig erprobte Verfahren", sondern ausschließlich der neueste Wissensstand ausschlaggebend sein könne. Ingo Lembcke versteht seine Arbeit deshalb auch als Beitrag, "die Diskussion um Standards und die Etablierung solcher voranzutreiben" (S. 29). Aus Sicht des Flechtenschutzes ist seiner Schrift deshalb eine weite Verbreitung zu wünschen.

Gleichwohl sollte nicht vergessen werden, dass der besondere Artenschutz nach § 44 (1) Nr. 4 Bundesnaturschutzgesetz nur eine relativ kleine Gruppe von Makroflechten erfasst. Gerade viele empfindliche und seltene Krustenflechten fallen durch die Maschen des § 44 und könnten allenfalls bei sorgfältiger Durchführung der Eingriffsregelung berücksichtigt werden. Dieses Rechtsinstrument hat in der turnusmäßigen Baumkontrolle und -pflege jedoch keine Bedeutung. Umso wichtiger ist eine Befolgung der bestehenden Rechtsvorschriften im besonderen Artenschutz.

Quellen:

  • DIETZ, M., D. DUJESIEFKEN, T. KOWOL, J. REUTHER, T. RIECHE & C. WURST (2019): Artenschutz und Baumpflege. 2. Auflage. Haymarket Media GmbH, 151 S.
  • FLL (2021): Fachbericht Artenschutz: Artenvielfalt im Lebensraum Baum - Erhalten, Schützen, Pflegen. Hrsg. Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V., Bonn, 66 S. (Version für Internetabruf)
  • LEMBCKE, I. (2021): Baumpflege unter Berücksichtigung des Artenschutzes. Patzer-Verlag, Berlin - Hannover, 84 S.