Klima und Luft
Mit Hilfe der ökologischen Zeigerwerte (WIRTH 2010) ermöglicht die Flechtenflora eines Gebiets weitgehende Aussagen über dessen klimatische Eigenschaften sowie die Luftqualität. Anhand der Standortansprüche einzelner Arten können auch verschiedene Immissionseinflüsse ermittelt werden. Im Gegensatz zu meist aufwändigen Analysenverfahren ermöglicht die Flechtenflora oft schnelle und kleinräumig differenzierte Aussagen über diese Standortbedingungen. Hierbei sind die durch den Klimawandel erzeugten großräumigen Veränderungen zu berücksichtigen, die sich in der regionalen Flechtenflora in vielfältiger Weise bemerkbar machen.
Geländeklima
Die Zeigerwerte für die Feuchte (F) und insbesondere die klimaökologische Kontinentalität (KO) können für die Beurteilung von Bestandsklimaten eingesetzt werden. Größere Waldgebiete, aber auch kleinere Gebüsche und Feldgehölze weisen oft Arten auf, die auf höhere Luftfeuchte und geringere Temperaturschwankungen angewiesen sind. Insofern kann auch der Zeigerwert für die Temperatur (T) unter Umständen für eine Beurteilung herangezogen werden.
Oft ist es von Bedeutung, die klimatischen Unterschiede zwischen besiedelten und unbesiedelten Bereichen oder zwischen Acker- und Grünlandflächen herauszuarbeiten. Hierzu können Rindenflechten genutzt werden, wenn in allen Biotopen vergleichbare Trägerbäume in hinreichender Menge zur Verfügung stehen.
So bildet die Umwandlung von Grünland in Ackerland für empfindliche Flechtenarten trotz des Erhalts der Trägerbäume oft eine erhebliche Belastung, da sich neben stofflichen Einwirkungen auch wesentliche Veränderungen der Luftfeuchte und der Temperatur ergeben. Derartige Beeinträchtigungen entziehen sich aufgrund der Privilegierung der landwirtschaftlichen Nutzung im Regelfall einer naturschutzrechtlichen Einflussnahme. Anders ist dies, wenn z.B. Grünland in Bauland umgewandelt werden soll. In diesem Fall ist mit Beeinträchtigungen im Sinne der Eingriffsregelung zu rechnen, auch wenn die Trägerbäume von Flechten erhalten werden sollen.
Bei der kommunalen Landschaftsplanung können Flechtenvorkommen genutzt werden, um z.B. Frischluftschneisen festzustellen bzw. in ihrer ökologischen Bedeutung zu belegen und diese bei der weiteren Entwicklung von Infrastruktur und Siedlungs- oder Gewerbeflächen vorsorglich zu sichern.
Luftqualität
Veränderungen der stofflichen Luftqualität können durch Zeigerwerte für die Eutrophierung (N) oder den Reaktionswert (R) nachgewiesen werden.
Die von Hermann Ellenberg vor mehr als 30 Jahren aufgeworfene Frage "Eutrophierung - das gravierendste Problem im Naturschutz?" (ELLENBERG 1989) kennzeichnete damals eine Fachdiskussion, die in der allgemeinen gesellschaftlichen Wahrnehmung jedoch keine Rolle spielte. Seit etwa 20 Jahren sehen zumindest Flechtenkundler*innen die Folgen der Nährstoffüberschüsse an nahezu jedem Baum. Nährstoffzeigende Flechtenarten dominieren die hiesige Flechtenflora wie vermutlich niemals zuvor in der Geschichte. Diese Entwicklung wurde von HAUCK & BRUYN (2010: 9 f.) treffend beschrieben.
Aber auch trotz großräumiger Einflüsse können lokale Immissionen die Zonierung der Flechtenvorkommen beeinflussen. Durch Ermittlung vorkommender Arten und der Berechnung mittlerer Zeigerwerte ist es so möglich, bestimmte Einflussfaktoren zu lokalisieren. In vielen Fällen können Immissionseinflüsse allerdings bereits durch offensichtliche Wuchsdepressionen oder Nekrosen an Flechtenlagern festgestellt werden.
Stark geschädigtes Lager der Flechte Evernia prunastri ("Eichenmoos") am Rand eines Ackers in Breinermoor (Landkreis Leer)
Quellen:
- ELLENBERG, H. (1989): Eutrophierung - das gravierendste Problem im Naturschutz? - NNABer. 2. Jg. (1): 4 - 13. Schneverdingen.
- HAUCK, M. & BRUYN, U. de (2010): Rote Liste und Gesamtartenliste der Flechten in Niedersachsen und Bremen. – Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen 30: 1–84.
- WIRTH, V. (2010): Ökologische Zeigerwerte von Flechten - erweiterte und aktualisierte Fassung. - Herzogia 23 (2): 229 - 248.